Letztes Jahr stand WhatsApp von allen Seiten unter heftiger Kritik wegen umstrittenen und der Privatsphäre abträglichen Änderungen der Nutzungsbedingungen. Nun inszeniert sich der Messaging-Dienst aus dem Hause Meta (ehemals «Facebook») in einer breit angelegten Marketing-Kampagne als Hüter der Privatsphäre. Eine grobe Einordnung.
SMS als tiefer Vergleichswert
In den Werbevideos, die WhatsApp diese Woche veröffentlicht hat, begleiten die Zuschauer einen nonchalanten Postboten, der auf seiner Tour verdutzten Empfängern Briefe und Pakete überbringt, welche bereits geöffnet sind. Die unmissverständliche Botschaft: Wer SMS-Nachrichten verschickt, gibt unweigerlich seine Privatsphäre preis, wer hingegen WhatsApp nutzt, dessen Privatsphäre ist dank Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bestens geschützt.
Auf den ersten Blick mag diese Herleitung nicht unplausibel erscheinen, doch sie beruht auf einem verkürzten Datenschutz-Verständnis, das bloss Inhalte berücksichtigt, Metadaten komplett ausblendet und mögliche Motive für Privatsphäre-Eingriffe unterschlägt. Selbstverständlich ist Ende-zu-Ende-Verschlüsselung einer unverschlüsselten Nachrichten-Übertragung vorzuziehen. Doch Ende-zu-Ende-Verschlüsselung allein garantiert noch lange keinen ernstzunehmenden Privatsphäre-Schutz.
Nutzerdaten: Der Rohstoff des 21. Jahrhunderts
Wie Facebook und Instagram setzt auch WhatsApp die Angabe personenbezogener Daten (insb. der Telefonnummer) voraus. Das ermöglicht Meta, Benutzer über verschiedene Dienste hinweg zu identifizieren und die Nutzerdaten der einzelnen Dienste zu umfassenden Profilen zusammenzuführen. Hinzu kommen weitere Datenquellen wie z.B. das Facebook-Plugin, welches Daten ausserhalb von Metas Diensten abgreifen und Aufschluss über das Surf-Verhalten von Internet-Nutzern geben kann.
Durch das systematische Sammeln von Nutzerdaten aus unterschiedlichen Quellen lässt sich ein so detailliertes Bild der einzelnen Nutzer zeichnen, wie es durch reine Chat-Inhalte kaum möglich wäre. Chat-Metadaten (wer kommuniziert wann mit wem etc.) ergeben bei der Nutzung von WhatsApp ein umfassendes und aufschlussreiches Beziehungsnetz («social graph»). Aus Facebook- und Instagram-Likes lassen sich nicht nur unmittelbare Interessen und Vorlieben der jeweiligen Nutzer ablesen, sondern auch weiterführende Informationen ableiten, wie z.B. Alters- und Einkommensklasse, Familienstand oder die sexuelle Orientierung. In Kombination können die einzeln gewonnenen Informationen mit dem Beziehungsnetz und Eigenschaften von engen Kontakten abgeglichen und ergänzt werden, was zu noch tieferen Einsichten und einem noch aussagekräftigeren Gesamtbild führt.
Metadaten sind zudem verlässlicher und einfacher zu verarbeiten als die ihnen zugrundeliegenden Inhalte. Edward Snowden drückte es einmal so aus:
Metadaten sind ausserordentlich invasiv. Als Analyst würde ich lieber Metadaten als Inhalte ansehen, weil das schneller und einfacher ist und sie nicht lügen.
Eine Frage des Geschäftsmodells
Der Grund, weshalb Meta unnachgiebig Nutzerdaten sammelt, ist untrennbar mit dem Geschäftsmodell des Tech-Giganten verknüpft. In typischer Silicon Valley-Manier bietet Meta seine Dienste kostenlos an und finanziert sie mittels zielgerichteter Werbung. Je mehr Meta über seine Nutzer weiss, umso zielgerichteter kann ihnen Werbung angezeigt werden. Je zielgerichteter Werbung angezeigt wird, desto kleiner ist der sogenannte «Streuverlust», umso teurer lassen sich Werbeflächen verkaufen und umso grösser ist Metas Profit.
Aufgrund des Geschäftsmodells hat Meta bzw. WhatsApp also ein vitales Interesse daran, möglichst viele und möglichst aufschlussreiche Nutzerdaten zu sammeln, was mit konsequentem Privatsphäre-Schutz absolut unvereinbar ist. Dass die Nachrichten bei WhatsApp (laut Meta) Ende-zu-Ende-verschlüsselt übertragen werden, ist ein Vorteil gegenüber SMS, aber insgesamt ein schwacher Trost.
SMS und WhatsApp haben gemeinsam, dass beide nicht mit besonderem Augenmerk auf Sicherheit und Datenschutz entwickelt wurden. Wie WhatsApp im Vergleich zu einem Messenger wie Threema abschneidet, welcher von Grund auf mit Hinblick auf Sicherheit und Datenschutz konzipiert wurde, ist dieser Gegenüberstellung zu entnehmen.